Einsatz für mehr Chancengerechtigkeit – 100 Jahre Studierendenwerk Stuttgart

  • Von der studentischen Hilfsorganisation zum modernen Hochschuldienstleister: Das Studierendenwerk Stuttgart feiert sein 100-jähriges Bestehen
  • Geschäftsführer Marco Abe: „Es zeigt, wie wichtig unsere Arbeit für die Hochschulregion ist. Wir tragen dazu bei und setzen uns dafür ein, dass ein Studium kein Privileg ist.“
  • Mehr als 60 000 Studierende an 15 Hochschulen profitieren heute von einem breiten Dienstleistungsangebot

Das Studierendenwerk Stuttgart wird 100 Jahre alt: Im Juni 1921 wurde die Stuttgarter Studentenhilfe e.V. gegründet – der Vorläufer des heutigen Studierendenwerks. Schon damals ging es um mehr Chancengerechtigkeit im Studium. Heute profitieren Studierende von einem breiten Dienstleistungsangebot, das den Studienalltag leichter macht. Die rund 450 Mitarbeitenden des Studierendenwerks kümmern sich um bezahlbare Wohnplätze, preiswertes Essen in den Mensen und Cafeterien, hochschulnahe Kinderbetreuung, die kostenfreie Sozialberatung, Rechtsberatung und psychotherapeutischen Beratung sowie die Bearbeitung der BAföG-Anträge.

Eine starke soziale Infrastruktur, die das Studierendenwerk – früher Studentenhilfe bzw. Studentenwerk genannt – über die Jahrzehnte aufgebaut hat. Geschäftsführer Marco Abe: „Dass wir auf 100 Jahre Geschichte zurückblicken können, erfüllt uns mit Stolz. Es zeigt, wie wichtig unsere Arbeit für die Hochschulregion ist. Wir tragen dazu bei und setzen uns dafür ein, dass ein Studium kein Privileg ist.“

 

Gründung der Studentenhilfe nach dem ersten Weltkrieg

Alles begann mit den Folgen und Auswirkungen des ersten Weltkriegs. Viele Studierende waren in einer schlechten gesundheitlichen Verfassung, es mangelte an Lebensmitteln und die wirtschaftliche Situation war miserabel. Ein Studium konnte sich zu diesem Zeitpunkt nur ein kleiner Teil der Bevölkerung leisten. Auf Initiative der Professoren Veesenmeyer und Braun, wurde daher im Juni 1921 an der Hochschule für Technik die Stuttgarter Studentenhilfe e.V. gegründet. Das Ziel: Lebenshaltungskosten senken und die Chancengerechtigkeit durch soziale Hilfen für Studierende verbessern. 

Von Beginn an sind ein Dach über dem Kopf und eine warme Mahlzeit elementare Grundbedürfnisse der Studierenden. Daher richtete die Studentenhilfe ein Wohnungsamt und eine Mensa ein. In sogenannten Erfrischungsräumen konnten Studierende Zwischenmahlzeiten, alkoholfreie Getränke, belegte Brote und auch Zigaretten kaufen. Zudem gab es eine Verkaufsabteilung für Studienmaterial und eine Bücher- und Zeitschriftenvermittlung. Die Abteilung für Sozialfürsorge kümmerte sich um die Krankenfürsorge – gerade bei Tuberkulose – vermittelte Werkstudentenstellen und unterstützte einzelne Studierende zum Beispiel durch Darlehen, Stipendien oder kostenlose Mensaessen – die sogenannten Freitische.

1932/33 wird schließlich an der Ecke Schelling-/Seestraße ein Hochschul- und Studentenhaus errichtet, mit einer Mensa, einem Kaffeeraum, Bierkeller, Lesezimmer und gemütlichen Aufenthaltsräumen. Bereits damals wird das Angebot anteilig aus Beiträgen der Studierenden finanziert. Den Neubau bezuschussen außerdem der Staat sowie Stiftungen und Förderer.

 

NS-Zeit, zweiter Weltkrieg und Wiederaufbau

Kurz nach der nationalsozialistischen Machtübernahme, verlieren die Studentenhilfen in Deutschland ihre Selbstständigkeit und arbeiten als örtliche Dienststellen unter dem damaligen Berliner Reichsstudentenwerk. Eine Zeit, die eine tiefe institutionelle Zäsur darstellt: Die Studentenhilfen werden gleichgeschaltet, der Dachverband instrumentalisiert und in das Gefüge der NS-Diktatur integriert. Wie es dazu kam und wer die treibenden Kräfte waren, damit setzt sich eine historische Studie des Dachverbands der Studierendenwerke (DSW) kritisch auseinander.

Bei einem Bombenangriff 1944 wird das Hochschul- und Studentenhaus der Stuttgarter Studentenhilfe komplett zerstört. Trotz den Wirren der Nachkriegszeit, beginnt die Technische Hochschule bereits im Sommer 1945 mit dem Wiederaufbau der Hochschulgebäude – im Keller der Keplerstraße 10 wird sogleich eine provisorische Mensa eingerichtet. Die Eintopfgerichte werden dort vor allem an Studierende ausgegeben, die beim Wiederaufbau helfen.

Zwei Jahre später, 1947, etabliert sich das Studierendenwerk in Form eines Vereins neu – jetzt unter dem Namen Studentenwerk Stuttgart. Dem Hilfswerk gehören zu diesem Zeitpunkt Studierende der Technischen Hochschule, der staatlichen Akademie der bildenden Künste, der Hochschule für Musik, des Pädagogischen Instituts und der Büchereischule an.  

 

Max-Kade-Stiftung ermöglicht erstes Wohnheim und Mensa-Neubau

Durch eine großzügige Spende der Max-Kade-Stiftung New York können in den 50er-Jahren das Max-Kade-Haus, die erste Wohnanlage für Studierende in Stuttgart, und die Mensa Stuttgart-Mitte gebaut werden.

Das Max-Kade-Haus ist mit seinen 16 Stockwerken eines der ersten Hochhäuser in Stuttgart. Am 1. Dezember 1953 ziehen 143 Studenten und 13 Studentinnen ein, bis heute zählt es zu den beliebtesten Wohnheimen. Im selben Jahr werden 890 Zimmer über die Zimmervermittlung des Studentenwerks vergeben. Bereits damals übersteigt die Nachfrage nach Wohnplätzen das Angebot, trotz Bau des Max-Kade-Hauses. Die Preise auf dem privaten Wohnungsmarkt sind für Studierende schon zu dieser Zeit kaum zu finanzieren, weshalb sich das Studentenwerk dafür einsetzt weiteren Wohnraum zu schaffen – zu bezahlbaren Mieten.

Ein weiteres Problem: die Verpflegung der Studierenden. Anfang der 50er stehen über 2000 Studierenden in der Mensa gerade mal 300-350 Sitzplätze zur Verfügung, was zu großer Unzufriedenheit führt. Sogar eine „Saalpolizei“ wird eingeführt, die jedoch keine hinreichende Ordnung schaffen kann. Im Dezember 1954 erfolgt dann endlich der Spatenstich für die sehnlichst erwartete neue Mensa Stuttgart-Mitte.

 

Aus dem Verein wird eine Anstalt des öffentlichen Rechts

Mit der Einführung des Studentenwerksgesetzes in Baden-Württemberg, werden die Studentenwerke ab Oktober 1975 nicht mehr als Vereine, sondern als Anstalten des öffentlichen Rechts geführt. Das Solidarprinzip und die studentische Mitbestimmung sind Grundsätze, die das Studierendenwerk bis heute prägen: Studierende können durch Mitgliedschaft in der Vertretungsversammlung und im Verwaltungsrat Einfluss auf die Geschäftstätigkeit nehmen.

1975 ist das Studentenwerk Stuttgart für sieben Hochschulen in Stuttgart und Ludwigsburg mit rund 18 000 Studierenden zuständig. Eine Anzahl, die über die Jahrzehnte kontinuierlich steigen wird. Auch das Angebot wächst: 1976 wird eine freiberuflich tätige Psychologin eingestellt, 1977 kommt eine zweite Psychologin hinzu. In den 70er bis 90er-Jahren erfolgt der verstärkte Ausbau des Campus Vaihingen: Die große Mensa Stuttgart-Vaihingen, eine neue Kita und acht Wohnanlagen entstehen. Im Oktober 1997 ist die feierliche Einweihung des Studentendorfs Ludwigsburg. Ab den 2000ern baut und betreibt das Studentenwerk weitere Wohnanlagen in Stuttgart-Mitte. 2005 wird die Sozialberatung eingeführt, um Studierende bei allen Fragen rund um die Themen Studienfinanzierung, Studieren mit Kind, Studieren mit Behinderung zu helfen sowie internationale Studierende zu unterstützen.

Im Oktober 2006 kommt – aus dem ehemaligen Studentenwerk Hohenheim – die Hochschule Esslingen mit 5160 Studierenden zum Zuständigkeitsbereich hinzu. 2014 wird aus dem Studentenwerk schließlich das Studierendenwerk Stuttgart – durch eine Änderung im Studierendenwerksgesetz, die eine geschlechtergerechtere Rechtssprache etablieren soll.

 

Das Studierendenwerk Stuttgart heute

Heute ist das Studierendenwerk Stuttgart eine wichtige Anlaufstelle für mehr als 60 000 Studierende an 15 Hochschulen in Stuttgart, Ludwigsburg, Esslingen, Göppingen und Horb. Es betreibt 35 studentische Wohnanlagen mit 6830 Wohnplätzen, neun Mensen und sieben Cafeterien sowie sieben Kitas mit 145 Betreuungsplätzen. Im Amt für Ausbildungsförderung werden die BAföG-Anträge der Studierenden bearbeitet. In der Sozialberatung, der Rechtsberatung und der psychotherapeutischen Beratungsstelle erhalten Studierende kostenfrei Unterstützung.

In der aktuellen Corona-Situation erleben die Studierenden und das Studierendenwerk eine veränderte Hochschulwelt: Gelernt wird seit eineinhalb Jahren vor allem von Zuhause aus, die Hochschulgebäude bleiben vielerorts leer. „Das macht sich auf allen Ebenen bemerkbar und erfordert weiterhin viel Flexibilität und Anpassungsgeschick an die Gegebenheiten“, erklärt Marco Abe. „Wir haben mit vielfältigen Maßnahmen auf die Situation reagiert und beispielsweise Beratungsangebote auf digitale Kanäle umgestellt. In den Mensen bieten wir Take-Away samt nachhaltiger Mehrwegschalen an.“

Dem Unternehmen ist es besonders wichtig, das Dienstleistungsangebot ständig zu verbessern, an den Bedürfnissen der Studierenden auszurichten und dabei die Nachhaltigkeit im Blick zu behalten. Geschäftsführer Marco Abe: „Wir haben uns von der einstigen Hilfsorganisation in den Nachkriegsjahren zu einem modernen Hochschuldienstleister entwickelt. Damals wie heute und auch in Zukunft sind wir verlässlich an der Seite der Studierenden.“

 

 

Weiterführende Informationen:

„Das Reichsstudentenwerk“, Sozialbetreuung von Studierenden im Nationalsozialismus. Eine historische Studie von Dr. Christian Schölzel im Auftrag des Deutschen Studentenwerks: https://www.studentenwerke.de/de/content/sozialbetreuung-von-studierenden-im